„Sprache ist Macht“
Frauenerwerbstätigkeit ist ein vielfach diskutiertes Thema. Die Polinnen, die zuletzt nach Berlin kamen, sind hochqualifiziert. Sie sind der Grund für die starke Akademikerquote von 48 Prozent in der polnischen Community. Sie weisen im Vergleich zu allen anderen Berlinerinnen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, die höchste Erwerbstätigenquote auf. Zugleich stellen sie jedoch mit 70 Prozent die Mehrheit unter den Polen, die nur geringfügig beschäftigt sind. Wir wollen deshalb wissen, was polnische Frauen von ihren Landsmännern und von den deutschen Frauen unterscheidet und welche kulturellen Unterschiede es auf dem Arbeitsmarkt gibt.
Teil 2 unseres Interviews mit Anna Czechowska
Wenn Sie den Bedarf der Polen bei der Integration in den Arbeitsmarkt vergleichen: Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen?
Die polnischen Frauen brauchen mehr Unterstützung. Das liegt auch daran, dass sie sich öfters um Familienangelegenheiten kümmern, wie Schul- oder Arzttermine der Kinder. Sie haben dadurch mehr Themen, zu denen sie sich informieren müssen. Ein weiterer Grund ist ihr Engagement. Wer eigene Projekte anstoßen will, hat ebenfalls einen höheren Informations- und somit Beratungsbedarf. Sie sind gleichzeitig aber auch eher bereit, sich Hilfe zu suchen.
Hier zeigt sich dann meist, dass der Bedarf an klassischer Beratung bei beiden Geschlechtern der gleiche ist: Wie gestaltet sich ein deutsches Bewerbungsverfahren? Welche Unterlagen benötige ich? Was muss ich preisgeben? In Polen ist es zum Beispiel nicht üblich, im Anschreiben die Gehaltsvorstellung zu offenbaren. In Deutschland fordern das die Arbeitgeber.
Wenn Sie polnische und deutsche Frauen vergleichen: Gibt es Unterschiede?
Manchmal haben Polinnen weniger Selbstvertrauen. Das hängt nicht mit der Nationalität, sondern mit der Migration und vor allem der Sprachkompetenz zusammen. Die Deutschen haben dazu ein Sprichwort: „Sprache ist Macht“. Sprache ist eng mit Selbstvertrauen verbunden. Denn sie ermöglicht uns, Chancen mit einem Ja beherzt zu ergreifen oder mit einem Nein bewusst Grenzen zu setzen. Wir erleben manchmal, wie Frauen, die in Polen selbstbewusst und aktiv ihre Karriere anpackten, ihr Selbstbewusstsein verlieren, wenn sie in dieses Land kommen und kein Deutsch sprechen. Die Frau, die in ihrer Muttersprache selbstbewusst ihre Wünsche artikulierte, verstummt im anderen Land. Das ändert sich, wenn sie Deutsch lernen.
Ein weiterer Unterschied besteht schlicht im Heimvorteil: Deutsche Frauen haben eine stärkere Lobby und wissen eher, wo sie Unterstützung oder Informationen bekommen. Glücklicherweise teilen sie ihr Wissen gerne. Deshalb ist Vernetzung wichtig: Wir lernen von ihnen – und sie von uns.
Welche kulturellen Unterschiede sehen Sie zwischen dem deutschen und polnischen Arbeitsmarkt?
Es gibt einige Unterschiede, wenngleich sie in der Realität immer von der Einzelperson und ihrer Haltung abhängen. Ein Beispiel ist die Vorliebe der Deutschen für detaillierte, weit im Voraus ausgearbeitete Pläne, zum Beispiel, um etwas zu organisieren. Polen sind weniger akribisch, kommen am Ende jedoch auch ans Ziel. Um das Verhältnis zu den Vorgesetzten und Kollegen aufzubauen, sollte man beidseitiges Verständnis vorbringen. Das Vertrauen wird Schritt für Schritt aufgebaut. Allgemein muss man sich Vertrauen in Deutschland erst erarbeiten. Das Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen ist öfters zunächst distanzierter. In der Tendenz neigen einige Menschen in Deutschland eher dazu, defizitorientiert vorzugehen, also nach dem Mangel oder dem, was die Bewerber nicht können zu suchen. Das ist natürlich eine schlechte Erfahrung für Bewerber. Unsere Aufgabe besteht in jedem Fall darin, sie aufzufangen und zu ermutigen. Denn viele Unternehmen wissen, dass Mehrsprachigkeit oder ein anderer kultureller Hintergrund sogar ein Vorteil sein kann, wenn sie sich zum Beispiel auf neuen Märkten etablieren oder neue Kundenstämme erschließen wollen.
Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass sich die Polen früher bei uns Beratungsstellen melden. So könnten wir sie präventiv mit allen wichtigen Informationen rüsten und auf diese Weise gemeinsam unnötige Umwege und Sackgassen auf ihrem Weg in den Arbeitsmarkt vermeiden – oder sie besser bei der Umsetzung ihrer Projektideen unterstützen.
Ich würde mir außerdem wünschen, dass mehr Polinnen in der Berliner Verwaltung arbeiten, sich Führungspositionen erarbeiten oder sich in der Politik engagieren, um zum Beispiel die Integrations- und Arbeitsmarktpolitik mitzubestimmen und Berlin aktiv zu gestalten. Das stünde der zweitgrößten Community dieser Stadt gut zu Gesicht. Ich merke, dass es in letzter Zeit vorangeht. Wir kommen einer wirklich starken und selbstbewussten Community näher, die sich nicht nur integriert, sondern auch aktiv politische Prozesse gestaltet.
Den ersten Teil des Interviews können Sie hier nachlesen.
Über Anna Czechowska
Anna Czechowska ist Vorstand des Vereins agitPolska e. V. und gehört seit 2017 dem Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen des Berliner Senats an. Sie leitet BOX 66, ein interkulturelles Beratungs- und Begegnungszentrum für Frauen und Familien am Ostkreuz, das Verband für interkulturelle Arbeit Berlin/Brandenburg getragen wird. Das Zentrum unterstützt Polinnen in Berlin Fuß zu fassen, zum Beispiel durch Einzelberatung oder Workshops.
www.box66berlin.com
Facebook: https://www.facebook.com/box66berlin
http://agit-polska.de/wp/
Facebook: https://www.facebook.com/agitPolska/