20 Jahre Polen in der EU: Interview mit Bartłomiej Bartczak, Bürgermeister Gubin 2006-2024
Am 1. Mai 2004 trat Polen gemeinsam mit 9 anderen süd- und osteuropäischen Ländern der Europäischen Union bei: Ein historischer Schritt, der das Land tiefgreifend verändert hat. Heute können wir bereits auf 20 Jahre Mitgliedschaft zurückblicken. Eine Zeit voller Herausforderungen, aber auch großer Erfolge. Doch wie werden die 20 Jahren Polens in der EU an der deutsch-polnischen Grenze bewertet? Dazu haben wir uns mit Bartłomiej Bartczak unterhalten, der von 2006 bis 2024 Bürgermeister Gubins war, also des polnischen Teils der Europastadt Guben/Gubin.
Redaktion: Wie hat sich das Leben in Gubin seit dem EU-Beitritt Polens 2004 verändert? Was eint und trennt Gubin und Guben aus Ihrer Sicht heutzutage?
Guben und Gubin sind mittlerweile wie eine Stadt in zwei Ländern. Die Städte haben ähnliche Anzahlen an Einwohner*innen, Bedingungen und Herausforderungen.
Besonders in der Wirtschaft sieht man seit dem EU-Beitritt beiderseitig riesige Fortschritte: Es gibt heute viele Firmen in Gubin, die weltweit tätig sind. Außerdem gibt es einige Firmen in Guben, die aus dem großen polnischen Arbeitsmarkt schöpfen. Der geteilte Arbeitsmarkt hat natürlich auch sehr beim Zusammenwachsen der Städte geholfen: Es ist alles gemischt.
Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial?
Die rechtlichen Bedingungen der einzelnen Länder verkomplizieren die Zusammenarbeit an manchen Stellen schon. Im Moment ist es beispielsweise noch nicht möglich, sich als Gubiner Einwohner*in ohne Mehrkosten im Krankenhaus in Guben behandeln zu lassen. Dass diese Situation sich verbessert, wäre auf jeden Fall in unserem Interesse.
Wie sieht es mittlerweile in Bereichen wie Bildung, Kultur oder Infrastruktur aus?
Ich selbst habe mein Abitur in Guben gemacht, ich bin also das beste Beispiel dafür, dass es hier kein Problem darstellt, Kinder in beiden Städten in die Kita oder zur Schule zu schicken. Wir haben auch viele gemeinsame Feste, wie zum Beispiel unser Frühlingsfest. Die Vereine auf beiden Seiten arbeiten ebenfalls sehr gut zusammen und wir haben auch viele gemeinsame Infrastrukturprojekte wie unsere Theaterinsel oder den Grünen Pfad, der die Sehenswürdigkeiten von Guben und Gubin miteinander verbindet.
Sie sehen: Hier gehört jetzt wirklich alles zusammen. Speziell in der Covidzeit hat man gemerkt, wie stark die Region im Alltagsleben zusammengewachsen ist. Als die Grenze geschlossen war, wurden Familien getrennt: Mütter und Väter mussten zum Teil auf der anderen Seite bleiben und in Hotels schlafen – es war eine katastrophale Zeit. Sie hat uns vor Augen geführt, was wir aneinander haben und uns wieder mehr gezeigt, wie sehr wir die andere Seite im Alltag schätzen. Auf der anderen Seite einkaufen gehen, Bekannte besuchen oder die Freizeit verbringen ging plötzlich alles nicht mehr.
Haben Sie den Eindruck, dass sich das Bild, das Ihre deutschen Nachbarn von Polen haben, seit dem EU-Beitritt verändert hat?
Ich denke seit dem EU-Beitritt Polens 2004 ist das Vertrauen zu uns viel größer geworden. Wir sind inzwischen Teil der gleichberechtigten europäischen Familie und so werden Polen in Deutschland auch behandelt: Es gibt keine Berührungsängste mehr. Der EU-Beitritt Polens war wie eine Garantie, dass wir auf gutem Niveau sind und man keine Angst haben sollte, in Polen etwas zu unternehmen – sei es eine Firma zu gründen, Urlaub zu machen oder seine Freizeit bei uns zu verbringen.
Wir danken Bartłomiej Bartczak für das Interview!