Polen nach den Parlamentswahlen
Etwas über eine Woche nach den Parlamentswahlen in Polen, in denen am 15. Oktober die bisherige Regierung dem Oppositionsbündnis unterlag, hat Präsident Andrzej Duda nun die ersten Gespräche zur Regierungsbildung geführt. Am 24. und 25. Oktober fanden die ersten Konsultationen von Duda mit Vertreter*innen sowohl der aktuellen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość PiS), als auch des oppositionellen Wahlbündnisses aus Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska KO), Neuer Linken (Nowa Lewica) und Drittem Weg (Trzecia Droga) statt. Dabei traf sich der Präsident zuerst mit Vertretern der PiS, die zwar aus der Wahl als stärkste Kraft hervorgegangen war, ihre Parlamentsmehrheit aber verlor.
Nach 8 Jahren verliert PiS ihre Mehrheit
In den diesjährigen Wahlen wurde ein seit Beginn der demokratischen Wahlen in Polen im Jahr 1989 bisher nicht erreichter, neuer Rekord an Wahlbeteiligung verzeichnet, den Präsident Duda als "Fest der Demokratie" bezeichnete. 74,38 Prozent der wahlberechtigten Bürger*innen nahmen an dieser Wahl teil, gegenüber 61,74 Prozent bei der Wahl im Jahr 2019. Bei den Wahlen zum Sejm gewann die PiS 194 Mandate, was 35,38 Prozent der Stimmen entspricht, die Bürgerkoalition 157 Mandate - 30,7 Prozent, die Dritte Weg 65 Mandate - 14,4 Prozent, die Neue Linke 26 Mandate - 8,61 Prozent und Konfederacja 18 Mandate - 7,16 Prozent. Das oppositionelle Dreierbündnis (Bürgerkoalition, Dritte Weg, Neue Linke) erlangte 248 der 460 Mandate und damit zusammen deutlich mehr als die Regierungspartei PiS.
Kandidaten für das Amt des Premierministers
Die Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) hat Mateusz Morawiecki als ihr Kandidat für das Amt des Premierministers ausgewählt. Die Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska), gemeinsam mit der Neuen Linken (Nowa Lewica) und der Dritten Weg (Trzecia Droga), haben Donald Tusk als ihr Kandidat nominiert. Die Führer dieser drei oppositionellen Gruppen haben am 24. Oktober ihre Bereitschaft zur Bildung einer gemeinsamen neuen Regierung bestätigt.
Bildung der neuen Regierung
Gemäß Artikel 109 Absatz 2 der Verfassung der Republik Polen müssen die erste Sitzung des Sejms und des Senats nach den Wahlen innerhalb von 30 Tagen stattfinden, also spätestens bis zum 14. November 2023. Nach der ersten Sitzung des Sejms oder der Annahme des Rücktritts des bisherigen Ministerpräsidenten, wie in Artikel 154 Absatz 1 vorgesehen, hat der Präsident 14 Tage Zeit, um einen Premierminister und eine Regierung zu ernennen, die das Vertrauensvotum des Sejms benötigen. Diese neue Regierung muss bis zum 12. Dezember das Vertrauensvotum erhalten.
Dem polnischen Präsidenten kommt gemäß Verfassung bei der Regierungsbildung eine entscheidende Rolle zu. Viele Beobachter*innen erwarten nun, dass sich die Bildung der neuen Regierung nach den Wahlen am 15. Oktober etwas verzögert: So schreibt der Politikwissenschaftler Stefan Garsztecki in seiner Analyse der Wahl für die Polen-Analysen, er rechne damit, dass Duda zunächst einen Politiker der PiS als stärkster Kraft mit der Regierungsbildung beauftragen wird. Da der PiS jedoch die parlamentarische Mehrheit fehlt und sie über keine Aussicht auf einen Koalitionspartner verfügt, wird sich, so Garsztecki, „die Bildung einer Regierung aus den bisherigen Oppositionsparteien aber nur verzögern“. Ob er Recht behalten wird und wie lange es wirklich bis zu einer neuen Regierung in Warschau dauert, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.
Die „Polen-Analysen“ zur Wahl in Polen in deutscher Sprache finden Sie hier.