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Welche Rolle spielen lokale Entscheidungsträger*innen beim Klimaschutz? Interview mit Anita Cieślicka, Forum Energii

 Forum Energii

Anita Cieślicka ist Direktorin des Programmes „LeadAir“ bei Forum Energii, einer europäischen und interdisziplinärer Denkfabrik aus Polen, die sich vor allem dem Gelingen der Energiewende verschrieben hat und mit Hauptsitz in Warschau ansässig ist. Neben der Publikation von Daten und Analysen zur Energiewende mit Fokus auf Polen beraten die Expert*innen von Forum Energii unter anderem auch Städte und Kommunen in Polen, etwa zu lokalen Maßnahmen für saubere Luft und Klimaneutralität. Im Projekt „LeadAir“ beispielsweise hat die Denkfabrik zu diesen beiden Themen seit 2019 mit mehr als 45 Städten in ganz Polen zusammengearbeitet, darunter auch die Stadt Posen (Poznań) sowie Kommunen in Großpolen (Wielkopolskie) und Niederschlesien (Dolnośląskie). Wir haben mit Anita Cieślicka zur Rolle von Kommunen und kommunalen Entscheidungsträger*innen beim Gelingen der Energiewende gesprochen und sie gefragt, welchen Herausforderungen kommunale Entscheidungsträger*innen dabei typischerweise begegnen. 

Redaktion: In Ihren Projekten arbeiten Sie regelmäßig mit regionalen Entscheidungsträger*innen in Polen und Europa zu Themen der Energiewende und Klimaschutzmaßnahmen zusammen. Inwieweit ist Ihrer Meinung nach das Thema „Klimaschutzmaßnahmen“ dort in den Köpfen angekommen?

Anita Cieślicka: Am präsentesten ist bei den Entscheider*innen auf dem kommunalen und regionalen Level in Polen sicher das Thema Luftqualität. Das Bewusstsein über Umwelt und Klimaschutz dagegen ist eher noch im Entstehen. Wobei man sagen muss, dass das Verständnis, das Engagement und die Bereitschaft zur Veränderung in Sachen Klimaschutz nicht gleichmäßig über das Land verteilt sind. Es gibt auch lokale Regierungen, die sich auf nationaler Ebene hervorheben und den Beweis antreten wollen, dass eine ehrgeizige Klima- und Umweltpolitik machbar ist.

Generell haben wir beobachtet, dass sich das Bewusstsein und der Bedarf an besseren Kenntnissen in diesen Bereichen nach der russischen Aggression in der Ukraine und der Energiekrise, mit der Europa in den letzten Jahren konfrontiert war, verstärkt hat. Wir beobachten in den Städten ein viel größeres Interesse an Lösungen auf der Grundlage erneuerbarer Energien, sowohl in privaten als auch in öffentlichen Gebäuden. Im Rahmen des LeadAir-Projekts arbeiten wir mit einigen der ehrgeizigsten und bewusstesten polnischen Kommunalverwaltungen zusammen, die trotz vieler Hindernisse Maßnahmen ergriffen haben und deren Bemühungen in den letzten Jahren zu einem Vorbild für andere Städte geworden sind. Wir sehen auch viel mehr Mut bei der Umsetzung ehrgeiziger lokaler Projekte, die sich auf die Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden, verstärkte Anstrengungen zum Ersatz kohlenstoffreicher Einzelquellen, aber auch auf die Notwendigkeit der Dekarbonisierung der Heizungsindustrie konzentrieren.

Bisher war die Politik des polnischen Staates zur Luftreinhaltung und zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen aus unserer Sicht enttäuschend. Aus diesem Grund müssen die lokalen Regierungen mehr Anstrengungen unternehmen, um verfügbare Mittel zu beschaffen und zu investieren, mit den Bürgern in einen Dialog zu treten und die Richtung des Wandels aufzuzeigen. Erwähnenswert ist in dem Zusammenhang der Regierungswechsel in Polen, der zum Jahreswechsel 2023/2024 stattfand. Nach acht Jahren Regierungszeit der konservativen Rechten wird das Land nun von Parteien geführt, die in ihren Wahlprogrammen die Notwendigkeit der Reduzierung der CO2-Emissionen, der Beschleunigung der Energiewende und der Entwicklung erneuerbarer Energien betonten.

Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach die regionalen und kommunalen Entscheidungsträger*innen bei der Erreichung der von der Zentralregierung und der EU gesetzten Klimaziele – in Polen, aber auch in der EU im Allgemeinen?

Ich glaube, dass Städte ein unzureichend genutztes Potenzial für die Energiewende im Allgemeinen darstellen. Die Städte haben den Vorteil, dass sie an vorderster Front mit den Einwohner*innen und Haushalten zusammenarbeiten und die aktuellen Bedürfnisse und Herausforderungen der Bürger*innen kennen. Städte können schneller handeln, sie sind ein Raum für die Entwicklung innovativer Projekte und Lösungen, und ihre Erfahrungen können zu einer Wissensbasis für nationale Lösungen werden. Darüber hinaus sind es die Städte, die einem größeren öffentlichen Druck seitens der Bevölkerung ausgesetzt sind; ein Beispiel hierfür war die Erzwingung von Luftqualitätsverbesserungen für unambitionierte Städte durch lokale Gemeinschaften in Polen.

Die Städte können für die Umsetzung strategischer Ziele von nationaler und europäischer Ebene in konkrete lokale Maßnahmen und Ergebnisse verantwortlich sein. Ihre Rolle in der Umsetzungsphase der Ziele kann sehr wichtig sein, erfordert aber die Stärkung des lokalen Personals, die Bereitstellung von Ressourcen und die Sicherstellung der Qualität der Daten, auf deren Grundlage sie Entscheidungen treffen. Unserer Erfahrung nach verfügen die Kommunalverwaltungen, mit denen wir zusammenarbeiten, über eine Fülle von Kenntnissen und Erfahrungen, aber auch über ein Bewusstsein für die Hindernisse und praktischen Grenzen. All dies kann und sollte genutzt werden, um wirksamere Strategien, Finanzierungsprogramme und Lösungen zu entwickeln, die dem ganzen Land zugute kommen. 

Welchen typischen Herausforderungen sehen sich kommunale Entscheidungsträger*innen bei der Umsetzung von Klimaschutzprojekten gegenüber?

Polnische Städte stehen vor Herausforderungen im Bereich des Klima- und Umweltschutzes und der Verbesserung der Luftqualität. Die Energiewende und die dafür vorgesehenen europäischen Mittel sind eine historische Chance, aber auch eine Notwendigkeit, neue Instrumente einzusetzen und die Verwaltungsstrukturen zu stärken. Wir sind nicht gut darauf vorbereitet, solch enorme Finanzmittel in kurzer Zeit effektiv auszugeben, daher ist es wichtig, Kompetenzen aufzubauen und eine Reihe von Daten zu sammeln, um langfristige Strategien zu entwickeln. Oft sehen sich kommunale und regionale Entscheidungsträger*innen auch der Problematik gegenüber, dass ihre Budgets für Klimaschutzprojekte sehr begrenzt sind und es immer schwerer wird, Eigenbeiträge für Großprojekte zu sichern. Zudem gibt es einen Mangel an Humanressourcen und Fachkräften, die umfassende Strategien für Schlüsselsektoren wie Heizung oder Verkehr entwickeln können. Eine große Herausforderung im Bereich Klimaschutz für die Kommunalverwaltungen in Polen verbindet sich darüber hinaus mit dem Thema Gebäude. Gebäude sind für 40 Prozent des Energieverbrauchs in der EU verantwortlich. Außerdem verursachen sie 36 Prozent der Treibhausgasemissionen der gesamten Gemeinschaft. Nicht weniger als 75 Prozent der Gebäude in Polen sind energieineffizient, hier könnten also große Mengen an Energie und Emissionen eingespart werden. Auch die Energiearmut stellt eine wachsende Herausforderung dar. Die geringe Energieeffizienz von Gebäuden und die starke Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen – einschließlich importierter Kohle oder Gas, die von Haushalten im ganzen Land genutzt werden – wirken sich auf die Gesellschaft aus. Die Zahl der Haushalte, die von Energiearmut bedroht sind, nimmt zu. Diese Erfahrungen unterstreichen die Notwendigkeit, sie bei der Modernisierung ihrer Gebäude finanziell und beratend zu unterstützen, um ihre Kosten zu senken und sie für die nächsten Jahre zu sichern. Dies ist eine große Herausforderung, vor der die Städte heute stehen und die nicht länger ignoriert werden kann. Eine weitere Herausforderung ist die Dekarbonisierung des Wärmesektors – Polen hat den größten Fernwärmesektor in Europa, der 15 Millionen Menschen mit Wärme versorgt. Derzeit basiert aber der Großteil dieses Systems noch auf Kohle, mehr als 80 Prozent. Um Verbesserungen für die Klimabilanz in diesem Bereich zu erreichen, müssen Kommunen die Haushalte dabei unterstützen, ineffiziente Wärmequellen wie Kohleöfen zu ersetzen und dazu erneuerbare Technologien wie Wärmepumpen in Verbindung mit Photovoltaik zu fördern.

Im Rahmen des Projekts LeadAir haben Sie auch mit Städten auf dem Gebiet der Oder-Partnerschaft zusammengearbeitet, genauer gesagt mit der Stadt Posen und Gemeinden aus Großpolen und Niederschlesien. Um welche konkreten Projekte und Maßnahmen ging es dabei und was waren die Ergebnisse beziehungsweise Erkenntnisse?

Zunächst einmal kurz zum Projekt an sich: Mit LeadAir beraten wir Städte und unterstützen lokale Bemühungen um saubere Luft und Klimaneutralität. Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Realitäten, die Kommunalverwaltungen erleben, helfen wir ihnen bei der Bewältigung der dringendsten Herausforderungen in den Bereichen Luftqualität, sauberer Verkehr, thermische Gebäudemodernisierung und Energieeffizienz, lokales Potenzial für Erneuerbare Energien oder städtische Innovation. Die wichtigsten Bereiche, in denen wir mit der Stadt Posen und einigen Gemeinden in Großpolen und Niederschlesien zusammengearbeitet haben, sind die Verbesserung der Luftqualität und die Entwicklung von Lösungen für die Energiekrise, wobei wir uns auf folgende Bereiche konzentriert haben: Zum einen haben wir Energiesparpläne erarbeitet und eingeführt. Wir haben mit den meisten Städten in diesem Gebiet Polens während des Ausbruchs der Energiekrise zusammengearbeitet, weshalb es so wichtig wurde, sich um die Reduzierung des Energieverbrauchs zu kümmern. Zum anderen war es wichtig, sich gemeinsam nochmal mit dem Thema mögliche Finanzinstrumente zu befassen und die Kenntnisse in dem Bereich zu verbessern. Aufgrund der kommunal oft begrenzten Haushaltsmittel und des wachsenden Investitionsbedarfs war es wichtig, die verfügbaren Finanzinstrumente zu prüfen, die die Durchführung lokaler Projekte unterstützen können. Im Fall von Posen wurde dank unserer Zusammenarbeit ein bürointernes Team gebildet, das an der Gestaltung von Aufgaben für die Energiewende arbeitet. Der Erfahrungsaustausch zwischen den teilnehmenden Städten hat dazu geführt, dass der Entwurf des Zuschussbeschlusses der Stadt Posen für den Austausch von Wärmequellen durch emissionsarme Quellen für die kommenden Jahre geändert wurde und dass Beratungsdienste eingerichtet wurden, die die Einwohner*innen beim Austausch ihrer emissionsintensiven Öfen unterstützen. Darüber hinaus arbeiten wir mit allen lokalen Regierungen an langfristigen Strategien, auch im Fall von Posen war dies ein wichtiges Ziel des individuellen Beratungsprozesses.

Wir danken Anita Cieślicka für das Interview

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17.09.2024 -